Führung in Krisenzeiten – jetzt ist Ihr gesamtes Führungsrepertoire gefragt!

Franziska Kerle April 3, 2020 7 MINUTE READ

Führung ist in „normalen“ Zeiten schon keine leichte Aufgabe, in Zeiten der Transformation erst recht nicht und in solch unvorstellbaren Zeiten wie aktuell schon gleich gar nicht. Wer uns kennt, weiß, dass wir immer wieder versuchen, das Positive in den Vordergrund zu rücken und Chancen zu erkennen, die sich aus der aktuellen Situation ergeben. Aus dem Blickwinkel der Führungs- und Persönlichkeitsentwicklung kann man hier tatsächlich auch eine Chance erkennen.

„Die Krise“ als Anlass zur Persönlichkeitsentwicklung nutzen

Diese Zeiten zwingen (uns alle) aus unseren Komfortzonen herauszugehen. Als Führungskraft (und als Mitarbeiter übrigens auch) kann man sich nun entscheiden, ob man versucht, das Gewohnte ins „Homeoffice“ oder in den Krisenzustand irgendwie zu übertragen oder die Gelegenheit ergreift, seine Potenziale herauszukitzeln. Denn: Es ist nicht der EINE Führungsstil oder das EINE Führungsverhalten und die EIN, ZWEI Management-Kompetenzen, auf die es aktuell ankommt, sondern es ist das ständige Ausbalancieren verschiedener Perspektiven, Schwerpunkte und Herangehensweisen – man könnte sagen, der Führungsstil der Krise muss ein „Sowohl-als-auch“ (oder „trotz allem“) Führungsverhalten, ein bewusst situatives Führen, sein:

  • Sowohl menschliche Bedürfnisse als auch wirtschaftliche Notwendigkeiten erkennen
  • Sowohl Sicherheit als auch Handlungsdruck vermitteln
  • Sowohl schnelle Entscheidungen treffen als auch bewusst abwägen
  • Sowohl Zuversicht als auch die Worst Cases aufzeige

Sicherlich fallen Ihnen dazu noch sehr viele „Sowohl-als-auch“ Beispiele ein (Wir freuen uns, wenn Sie diese in den Kommentaren mit uns teilen!).

Sowohl-als-auch Führung ist gefordert

Good News und Ermutigung dazu aus der Forschung: Jeder Mensch mit intaktem Gehirn verfügt über alle biologischen Voraussetzungen, diese „Sowohl-als-Auch“ Anforderungen zu bedienen, wobei „sowohl“ und „auch“ aber meist in verschiedenen Gehirnregionen angesiedelt sind. Für ein oder zwei dieser verschiedenen Gehirnregionen legt man sich im Laufe seines Lebens eine Vorliebe zu – dabei kommt dann das raus, was man üblicherweise unter der Überschrift „Persönlichkeitstypen“ kennt. Trotzdem können wir Menschen (sofern wir unsere üblichen Verhaltensmuster verlassen wollen) alle Systeme (auch die, die wir sonst eher nur sporadisch einsetzen) nutzen und so den sowohl-als-auch Anforderungen gerecht werden… und dabei auch gleich noch Persönlichkeitsentwicklung betreiben. Denn, wenn die üblicherweise nicht präferierten Gehirnsysteme bewusst aktiviert werden, bilden sich dank der Plastizität unseres Gehirns neue Synapsen in den Bereichen, die unser Verhaltensrepertoire (auch für Nicht-Krisenzeiten) Stück für Stück erweitern.

Sowohl-als-auch-Führung gelingt durch bewusste Emotionssteuerung

Wie das funktioniert? Durch die bewusste Steuerung von Emotionen. Warum? Weil die verschiedenen Gehirnsysteme durch jeweils eine bestimmte Stimmungslage aktiviert werden. Zwei kurze Beispiele:

  • Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr? Das große Ganze geht aus den Augen verloren? Versagensangst im Krisenmanagement? Man sieht nur noch schwarz? Aus diesen Sackgassen kommen Sie nur heraus, wenn Sie es schaffen, sich in eine positive Gelassenheit zu versetzen. Dann gelingt es leichter, das große Ganze, Chancen und Ideen zu erkennen. Kennen Sie Happy Gilmore? Diesen Mechanismus nutzt er, wenn er sich vor dem Schlag an seinen „Happy Place“ erinnert. Der ständige Wechsel zwischen Analysen und Lösen von einzelnen Problemen und Worst Case Szenarien und Zurücklehnen, das Big Picture sehen und vermitteln zu können, ist das Sowohl-als-auch, das Sie als Führungskraft in diesen Zeiten leisten müssen. Den Problemfokus bekommen Sie mit einem kleinen Blick in die Nachrichten sofort hin. Achten Sie darauf, auch immer wieder für einen Blick für das große Ganze mit entsprechendem Optimismus zu bekommen – insbesondere, wenn Sie Ihren Mitarbeitern Perspektive und Halt geben müssen. Denken Sie hierfür hin und wieder an Ihren „Happy Place“.
  • Schnelle Entscheidungen und Maßnahmen umsetzen ist aktuell mehr denn je gefragt. Es wird von einem „Spiel gegen die Zeit“ gesprochen. Wenn dieses Gehirnsystem allerdings die Oberhand gewinnt, kommt es zu Aktionismus, Hamsterkäufen und Vernunftpanik (toller Begriff übrigens – hier ein aktueller Artikel dazu: https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/corona-gesellschaft-wider-die-vernunftpanik-kolumne-a-772e1651-f393-4bc6-8f79-79dc7a5ed025). Auch hier ist eine Sowohl-als-auch Führung notwendig: Klar, jetzt müssen schnelle, teilweise auch sehr unangenehme Entscheidungen und Maßnahmen ergriffen werden. Aber immer wieder müssen wir die Frage stellen: Ist das überhaupt zielführend? Für diese hinterfragende Haltung brauchen wir eine gedämpfte Stimmung, die weder euphorisch, noch ängstlich ist. Hier geht es darum, rational und abstrakt zu denken. Schreiben Sie sich Ihre Ziele auf, um die es für Sie, Ihre Mitarbeiter, Ihr Unternehmen in den nächsten Wochen geht, und rufen Sie sich diese bewusst wieder in Erinnerung, wenn die Alltagshektik in Aktionismus und Panik umschlägt.

Diese kleinen Tricks zur Emotionssteuerung helfen, um die eigenen Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster zu erweitern. Durch die „Stimmungswechsel“ gelingt es, ein Sowohl-als-auch-Denken, -Fühlen und -Verhalten als Führungskraft an den Tag zu legen.

Beeinflussen Sie als Führungskraft auch die Stimmung Ihrer Mitarbeiter bewusst

Als Führungskraft beeinflussen Sie auch das Denken, Fühlen und Verhalten Ihrer Mitarbeiter. Tun Sie dies bewusst, um das Arbeiten in der Krise (und auch danach) so effektiv und angenehm wie möglich zu gestalten:

  • Schaffen Sie (so gut es geht) eine entspannte, gelassene, zuversichtliche Atmosphäre, wenn es um neue Ideen, Lösungen und das Große Ganze gehen soll
  • Definieren Sie den gemeinsamen Fokus und die Ziele der nächsten Wochen. Fragen Sie bedacht, aber kritisch nach, wenn die Ziele aus den Augen geraten und der Aktionismus die Oberhand gewinnt
  • Sorgen Sie für eine kritische, gedrückte Stimmung, wenn Sie Probleme aufzeigen oder Fehler in Konzepten/Daten/Fakten mit Ihren Mitarbeitern entdecken wollen
  • Appellieren Sie an die menschlichen Bedürfnisse und Werte (Solidarität, Fairness, Nächstenliebe), wenn Commitment und die Umsetzung von notwendigen Maßnahmen gefordert sind

Seien Sie nah an Ihren Mitarbeitern dran, damit Sie immer wissen, was Ihre Mitarbeiter bewegt

Last but not least, aber schon fast eine Plattitüde: Dies gelingt nur, wenn Sie trotz physischer Distanz nah an Ihren Mitarbeitern dran sind – stellen Sie immer wieder sicher, dass Sie ein ziemlich klares Bild darüber haben, was Ihre Mitarbeiter bewegt. Dieses bewusste Stimmungsmanagement ist selbstverständlich nicht nur in so außergewöhnlichen Zeiten wie jetzt hilfreich, sondern genauso im „normalen“ Führungsalltag oder besonders im Rahmen von Transformationen. Dennoch bietet sich jetzt die Chance und die Notwendigkeit, die persönlichen Verhaltensmuster zu erweitern und die aktuelle Situation als Gelegenheit zur Persönlichkeitsentwicklung zu nutzen.

Wenn Sie mal etwas anderes lesen möchten (anstelle der Corona News-Ticker), hier zwei Bücher als „Further Reading Empfehlung“, die von den Forschern geschrieben wurden, die durch die Kombination existierender Persönlichkeitstheorien mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen den Zusammenhang von Gehirnsystemen, Verhaltensmustern und Emotionen hergestellt haben: