Menschenfokussiertes Handeln in Krisensituationen

Franziska Kerle April 14, 2020 5 MINUTE READ

Einer wirtschaftlichen Depressionsphase folgt gewöhnlich eine Erholung. Manager und Organisationen sind normalerweise auf wirtschaftliche Flauten vorbereitet, da dies der natürlichen Volatilität der Märkte entspricht. Allerdings sind nicht alle Krisen gleich. Neben Kostensenkungsmaßnahmen und finanzieller Unterstützung durch die Regierung, die darauf abzielen, den Markt zu stabilisieren und Organisationen sowie Finanzinstituten dabei zu helfen, sich auf Systemebene zu erholen, ist es für Führungskräfte von entscheidender Bedeutung, den Fokus auf ihre Mitarbeiter zu richten.

Sich in Krisensituationen auf die Menschen zu konzentrieren, bedeutet, ihre Unsicherheit zu reduzieren und das Vertrauen in den Weg aus der Krise zu stärken. Es ist wichtig sicherzustellen, dass in einer stressigen, teilweise unkontrollierbaren Situation, alle zusammenrücken und eng zusammenarbeiten. Wie kann das funktionieren? Welche Skills aus dem großen Führungsrepertoire sind nun besonders gefragt?

Wir Menschen lieben es, die Dinge fest im Griff zu haben. Und wenn etwas außer Kontrolle gerät, ist ein Gefühl von Angst und Unsicherheit häufig unvermeidlich. Hysterie und purer Aktivismus als Reaktion auf eine kritische Situation sind verständlich – meist aber kontraproduktiv. Oft entstehen solche Verhaltensweisen aus einer schwachen Kommunikation, einer aufkochenden Gerüchteküche – und fehlender Führung.

Das erste Gebot für Führungskräfte – vom Vorstand bis zu den Teamleitern – muss also lauten: Zeigen Sie maximale Präsenz bei Ihrer Mannschaft und schaffen Sie neue Möglichkeiten, um schnell im Kontakt mit Ihren Mitarbeitern zu sein – aktiv und passiv. Machen Sie sich immer bewusst, dass Sie es sind, von denen die Menschen im Unternehmen Antworten und Anleitung wollen und denen sie vertrauen (wollen). Mit anderen Worten, auch wenn es hektisch zugeht und Sie selbst verunsichert oder in Sorge sind: Bleiben Sie ruhig und demonstrieren Sie Souveränität und Zuversicht. Leicht gesagt? Einige der folgenden Gedanken und Impulse helfen auf dem Weg dahin.

Panik und vorschnelle Entscheidungen als Reaktion auf ein beunruhigendes Ereignis führen selten zu einem guten Ergebnis. Wir wissen aus dualen Prozessmodellen, dass es bei der Urteils- und Entscheidungsfindungstheorie sowohl ein schnelles, intuitives und automatisches System, als auch ein bewusstes, analytisches System gibt, mittels dessen Informationen verarbeitet werden. Während wir in kritischen Situationen dazu neigen, auf das intuitive System zuzugreifen, sollten wir jedoch gerade jetzt gut durchdacht und rational vorgehen.

Die Krisensituation muss für die Mitarbeiter entmystifiziert werden. Dafür gilt es klare Worte zu finden: Nichts beschönigen, nichts verheimlichen, sondern deutlich und – oft geht es in hochdynamischen Situationen nicht anders – in “kleinen Happen” kommunizieren. Dies reduziert Gerüchte und Spekulationen und verbessert die allgemeine Stimmung und das Mindset in der Organisation. Und es hilft, häufiger, vielleicht sogar täglich, mit der Mannschaft zu sprechen, ein Update zu geben und für ein Gespräch zur Verfügung stehen. Wenn die Mitarbeiter die relevanten Informationen nicht nur erhalten, sondern auch ihre Gedanken und Fragen äußern können, fühlen sie sich ernstgenommen, wertgeschätzt und in den Prozess involviert.

Besondere Situationen erfordern besondere Lösungen – so ein in Krisenzeiten viel gehörter Satz. Aber sind Kurzarbeit, Krisensitzungen oder travel bans wirklich besondere Lösungen, oder nicht vielmehr offensichtliche Reaktionen, die alle schon kennen und erwarten?

Ist es nicht vielmehr so, dass der typische menschliche Reflex ist, in Stresssituationen sich noch stärker auf bereits bewährte Verhaltensmuster zu fokussieren? Sich diese unbewussten Verhaltensmuster klar zu machen ist jetzt besonders entscheidend, damit wir Menschen unser volles Potenzial, unser ganzes Handlungsrepertoire ausschöpfen können. Die Verhaltensmuster, die die öffentliche Debatte und die Nachrichtenlage ohnehin schüren, sind Risikoaversion und Worst Case Betrachtungen ebenso wie die aus der Angst heraus resultierenden Impulsentscheidungen und Aktionismus. Selbstverständlich sind diese Aspekte aktuell von großer Relevanz. Sie bergen aber die Gefahr, das große Ganze und ursprüngliche Zielsetzungen aus den Augen zu verlieren. Als Führungskräfte mit Verantwortung für die Menschen sollten die “Tugenden” Schnelligkeit, Problembewusstsein und Konsequenz aber durch Verständnis füreinander, Aufmerksamkeit für Chancen und Entwicklungen, Flexibilität und den Raum für neue Ideen und Zukunftsperspektiven ergänzt werden. Mehr zu den vielseitigen Anforderungen an Führungskräfte in dieser Krise und wie man diesen bewusst gerecht werden kann, finden Sie in unserem Blog.

In Krisensituationen werden Gewohnheiten und das bestehende Mindset auf die Probe gestellt. Human Skills wie emotionale Intelligenz, Empathie und Zusammenarbeit sind entscheidend für einen Weg aus der Krise ohne anhaltende zwischenmenschliche Schäden zu verursachen. Um die getroffenen Maßnahmen erfolgreich und mit der notwendigen Konsequenz umzusetzen, ist es wichtiger denn je, innerhalb des Führungsteams geschlossen zu agieren und so Souveränität sowie Zuversicht zu demonstrieren. Kommt es zu unvermeidbaren, schmerzhaften Entscheidungen ist es entscheidend, dass ein Führungsteam sich frühzeitig mit wichtigen Stakeholdern oder Meinungsführern zu diesen Schritten abstimmt. Timing, Dosierung und auch Kommunikation können mit diesen Schlüsselspielern besprochen werden – was die Relevanz dieser Maßnahmen betont und die Akzeptanz zu erhöhen hilft.

Krisensituationen erfordern meist schnelles und entschlossenes Handeln auf der Prozess- und Systemebene. Aber die Menschen, die die Umsetzung dieser Maßnahmen ermöglichen, dürfen nicht vergessen werden, insbesondere wenn man den Blick auf die “Zeit nach der Krise” richtet. Die aktuelle Situation birgt das Potenzial, das Klima und den Zusammenhalt in der Gesellschaft, der Familie, aber auch in jedem Unternehmen und noch so kleinem Team unglaublich zu stärken. Wird diese menschliche Perspektive jedoch im Krisenmanagement vergessen, wird der Schaden für das Miteinander sehr groß sein und die Aufbauarbeit sehr hart werden. Darüber, ob ersteres oder letzteres für ein Unternehmen oder ein Team eintritt, entscheidet zu einem sehr großen Teil das Verhalten der Führungsmannschaft.